Vorbemerkung
Binnenvertriebene (auch Binnenflüchtlinge, intern Vertriebene, IDPs/Internally Displaced Persons) sind Personen, die aufgrund von bewaffneten Konflikten, allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen gezwungen wurden, ihre Heimat oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verlassen, dabei aber keine internationale Grenze überschritten haben (vgl. Guiding Principles on Internal Displacement, S.1, Absatz 2).
Nicht berücksichtigt sind in diesem Artikel Personen, die durch Natur- und vom Menschen verursachten Katastrophen innerhalb ihres Landes flüchten mussten.
Manche Vertreibungen sind vorübergehender Natur und die Personen können nach einiger Zeit wieder an ihren Wohnort zurückkehren. In anderen Fällen ist eine Rückkehr über längere Zeit oder dauerhaft nicht möglich. Vertriebene können in Flüchtlingslagern, bei Verwandten und Bekannten oder in anderen Dörfern und Städten Zuflucht gefunden haben. Viele von ihnen leben weiterhin unter äußerst prekären Bedingungen. Immer wieder kommt es auch vor, dass Personen mehrfach vertrieben werden.
Als Quelle für die Zahl der Binnenvertriebenen dienen Daten des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC). Auch wenn sich die Qualität der Daten über Binnenvertriebene Jahr für Jahr verbessert hat, ist die tatsächliche Zahl der intern Vertriebenen dennoch schwer festzustellen (siehe auch Anmerkungen). Alle Daten sind daher als Schätzungen zu betrachten.
Neue Vertreibungen
Die folgenden Daten beziehen sich auf durch Gewalt, Konflikte und Menschenrechtsverletzungen verursachte innerstaatliche Vertreibungen im jeweiligen Jahr.
Da Menschen auch mehrfach vertrieben worden sein können, darf die Zahl der Vertreibungen nicht mit der Zahl der vertriebenen einzelnen Personen gleichgesetzt werden.
Im Laufe des Jahres 2023 wurden 20,5 Millionen neue Binnenvertreibungen registriert. Das ist nach 2022 die zweithöchste Zahl an jährlichen Vertreibungen.
Die meisten neuen innerstaatlichen Vertreibungen gab es 2023 im Sudan (6 Millionen), in der Demokratischen Republik Kongo (3,8 Millionen), in Palästina (3,4 Millionen) und in Myanmar (1,3 Millionen). In vier weiteren Staaten (Äthiopien, Ukraine, Burkina Faso und Somalia) wurden mehr als eine halbe Million neuer Vertreibungen verzeichnet.
Die im April 2023 im Sudan ausgebrochenen Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Einheiten der Rapid Support Forces führten bis Jahresende zu 6 Millionen Vertreibungen.
2023 wurden durch Konflikte und Gewalt in der DR Kongo 3,8 Millionen Menschen gezwungen, ihren Heimatort zu verlassen. Auch in jedem der Vorjahre gab es bereits eine hohe Anzahl an Vertreibungen.
Die auf den Terroranschlag der Hamas Anfang Oktober 2023 folgende Militäraktion Israels im Gaza-Streifen verursachte bis Jahresende 3,4 Millionen Vertreibungen, wobei viele BewohnerInnen des Gaza-Streifens gleich mehrfach vertrieben wurden.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine war 2022 für fast 17 Millionen Vertreibungen verantwortlich. 2023 wurden weitere 714.000 registriert.
Syrien hatte in den Jahren 2012, 2013, 2016 und 2019 die höchste Zahl an Binnenvertreibungen aufzuweisen, der Irak 2014, der Jemen 2015, Äthiopien 2018 und 2021, die Ukraine 2022 und der Sudan 2023. In der DR Kongo gab es 2020 die meisten, in allen anderen Jahren seit 2016 die zweitmeisten Vertreibungen weltweit.
Mehr als zwei Drittel der neuen Vertreibungen waren 2023 auf innerstaatliche Konflikte zurückzuführen (etwa im Sudan, in der DR Kongo, in Myanmar, Burkina Faso, Äthiopien oder Somalia).
Internationale Konflikte (darunter der Palästina-Konflikt, die Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon und der Ukraine-Krieg) waren die Ursache für 4,5 Millionen Vertreibungen.
Vertreibungen durch kommunale Ausschreitungen wurden vor allem in der DR Kongo und in Nigeria beobachtet, durch kriminalitätsbezogene Gewalt insbesondere in Haiti, Nigeria und auf den Philippinen.
Binnenvertriebene
Die Daten in diesem Abschnitt beziehen sich auf die Gesamtzahl der binnenvertriebenen Personen am Jahresende. Das Ereignis, das die Vertreibung ausgelöst hat, kann bereits länger zurückliegen.
Veränderungen in der Zahl der Binnenvertriebenen im Laufe der Jahre sind auf neue Vertreibungen, die Rückkehr von Vertriebenen an ihren Herkunftsort und die Flucht von intern Vertriebenen ins Ausland verursacht. Es ist zu beachten, dass auch verbesserte Datenerfassungen zu einer Zu- bzw. Abnahme oder fehlende Aktualisierungen zu scheinbar gleichbleibenden Zahlen führen können.
Für die Zeit vor 2009 liegen keine (bis 1989) bzw. nur unvollständige Daten (bis 2008) zu Binnenvertriebenen weltweit vor. Es muss angenommen werden, dass es auch in früheren Zeiten viele Vertreibungen innerhalb des eigenen Landes gab.
Am Jahresende 2023 gab es nach Angaben von IDMC weltweit 68,3 Millionen Binnenvertriebene. Der Anstieg in den letzten beiden Jahren war insbesondere durch den Angriff Russlands auf die Ukraine (2022) und den Bürgerkrieg im Sudan (2023) bedingt.
Ende 2023 gab es 15 Staaten mit mehr als einer Million Binnenflüchtlinge, die meisten davon im Sudan, in Syrien, in der Demokratischen Republik Kongo und in Kolumbien.
Der Sudan hatte bereits Ende 2022 3,5 Millionen Binnenvertriebene aufzuweisen. Durch die Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und der paramilitärischen RSF ab April 2023 stieg die Zahl der innerhalb des Landes vertriebenen Menschen auf mehr als 9 Millionen an. Deutliche Zunahmen an intern Vertriebenen gegenüber dem Vorjahr gab es auch in der DR Kongo (von 5,7 auf 6,7 Millionen) und in Myanmar (von 1,5 auf 2,6 Millionen).
In der Ukraine ist die Zahl der Binnenvertriebenen 2023 einerseits durch Rückkehr an den Heimatort, andererseits durch Flucht in das Ausland zurückgegangen.
Anmerkungen
Die in diesem Artikel verwendeten Daten stammen vom Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC). IDMC sammelt und analysiert Daten zu Personen, die durch Konflikte und Gewalt (internationale und innerstaatliche Kriege, Unruhen, Kriminalität) oder durch Klima- und Wetterereignisse (Wirbelstürme, Dürren, Waldbrände, Erdrutsche) oder Naturereignisse (Erdbeben, Vulkane) vertrieben wurden.
Die Erfassung der Zahl der Binnenvertriebenen ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. In vielen Fällen existieren keine nationalen Statistiken zu Binnenvertriebenen. Die Daten stammen oft von internationalen und nationalen Organisationen, die in den jeweiligen Krisengebieten vor Ort sind. Der Zugang zu einigen Konfliktregionen ist jedoch manchmal aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Vertreibungen einzelner Personen oder kleinerer Gruppen können oft nur schwer erfasst werden.
Die Genauigkeit der Daten hängt auch davon ab, ob und wie häufig diese aktualisiert werden. Insbesondere, wenn die Vertriebenen nicht in Flüchtlingslagern leben oder regelmäßig Hilfsleistungen erhalten, ist es schwierig nachzuverfolgen, was weiter passiert: ob sie etwa mittlerweile zurückgekehrt sind, ins Ausland geflüchtet sind, oder ob sie vielleicht gar nicht mehr die Absicht haben, an den Herkunftsort zurückzukehren.
Die Daten wurden am 15.6.2024 von der Webseite von IDMC abgerufen.