In Österreich gab es 2022 eine außergewöhnlich hohe Zahl an Asylanträgen. Mit 112.272 Ansuchen wurde die Antragszahl von 2015 (damals gab es 88.340) deutlich übertroffen.
Ein nur langsames Ansteigen der Personen in Grundversorgung (ohne UkrainerInnen) und viele Verfahrenseinstellungen legen allerdings nahe, dass Österreich für eine beträchtliche Anzahl von AsylwerberInnen nur ein Transitland war. Verstärkte Grenzkontrollen führten dazu, dass auch Personen, die eigentlich in ein anderes Land wollten, hier einen Asylantrag stellten, dann aber oft rasch weiterreisten. Im Gegensatz dazu konnten 2015 Hunderttausende Schutzsuchende ohne einen Asylantrag stellen zu müssen durch Österreich durchreisen, um dann in anderen Staaten (damals v.a. Deutschland und Schweden) um Asyl ansuchen zu können.
Zusätzlich haben 2022 laut der BFA-Statistik noch 89.930 Geflüchtete aus der Ukraine ohne Asylverfahren in Österreich vorübergehenden Schutz erhalten.
Asylantragszahlen pro Jahr und Monat
2022 wurden in Österreich 112.272 Asylanträge gestellt.
Im Oktober 2022 stieg die Zahl der monatlichen Schutzansuchen auf 18.451 an. Damit wurden allein in diesem Monat mehr Anträge gestellt als von 2006 bis 2013 und von 2018 bis 2020 im ganzen Jahr. Gegen Jahresende begannen die Antragszahlen wieder zu sinken. Im Dezember wurden 7.049 Asylanträge gestellt.
Trotz der hohen Asylantragszahlen ist die Zahl der AsylwerberInnen in Grundversorgung seit Jahresbeginn nur moderat angestiegen. Bei mehr als 112.000 Asylanträgen waren Ende 2022 nur etwa 4.300 AsylwerberInnen mehr in Grundversorgung als zu Jahresbeginn.
98 Prozent der 2022 gestellten Asylansuchen waren Erstanträge, zwei Prozent entfielen auf Personen, die nach einer rechtskräftigen Entscheidung neuerlich einen Asylantrag gestellt haben. Von den 109.802 Erstanträgen erfolgten 4.147 im Rahmen von Familiennachzug, 3.203 wurden für in Österreich geborene Kinder von AsylwerberInnen und Schutzberechtigten gestellt.
Anmerkung: In der BMI-Asylstatistik werden seit 2022 auch Zahlen zu Asylanträgen für in Österreich geborene Kinder von AsylwerberInnen und Schutzberechtigten (in der Statistik als "nachgeborene Kinder" bezeichnet; Daten ab 2021 verfügbar) und Daten über die Zahl der Asylanträge, die weder im Rahmen von Familiennachzug noch für in Österreich geborene Kindern gestellt wurden ("originäre Asylanträge"; Werte in der Asylstatistik ab 2015 verfügbar) angegeben. Fehlende Daten wurden, wenn möglich, berechnet: Familiennachzug = Erstanträge minus "originäre" Anträge minus "nachgeborene" Kinder; Familiennachzug und in Österreich geborene Kinder = Erstanträge minus "originäre" Anträge.
Herkunftsstaaten
2022 wurden in Österreich die meisten Asylanträge von afghanischen, indischen und syrischen Staatsangehörigen gestellt. Weitere wichtige Herkunftsstaaten von AsylwerberInnen waren Tunesien, Marokko, Pakistan und die Türkei. Im Vergleich zum Vorjahr war Tunesien neu unter den Top 10 Herkunftsstaaten (nicht mehr dabei war der Irak).
In der ersten Jahreshälfte 2022 stellten AfghanInnen und SyrerInnen die meisten Asylanträge. Ab Juli war dann – mit Ausnahme vom Oktober, wo Afghanistan vorübergehend wieder der Hauptherkunftsstaat war – Indien der Herkunftsstaat mit den höchsten monatlichen Antragszahlen.
Ab November sanken die Asylanträge von indischen, afghanischen, syrischen, türkischen und tunesischen Staatsangehörigen deutlich. Bei der Zahl der Asylanträge von marokkanischen Staatsangehörigen gab es hingegen nur eine geringe Abnahme. Dadurch rangierte Marokko im Dezember bei den Antragszahlen noch vor Afghanistan und Syrien an zweiter Stelle.
Ukrainische Staatsangehörige haben seit Inkrafttreten der Verordnung über das vorübergehende Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine vertriebene Personen Mitte März 2022 kaum mehr Asylanträge gestellt. Bei den Asylansuchen von Menschen aus der Russischen Föderation war nur ein geringer Anstieg zu bemerken.
Anmerkung: Dargestellt sind die 10 Herkunftsstaaten mit den meisten Asylanträgen 2022 und zusätzlich die Ukraine und Russland.
Die hohen Asylantragszahlen spiegelten sich jedoch bei einigen Herkunftsstaaten nicht in den Zahlen zur Grundversorgung wider. So waren am 1.1.2023 trotz der mehr als 24.000 Asylanträge 573 AfghanInnen weniger in Grundversorgung als zu Jahresbeginn. Andere Staaten mit vielen Schutzansuchen – wie Indien, Tunesien, Marokko oder Pakistan – schienen nicht unter den Staaten mit den meisten GrundversorgungsbezieherInnen auf. Das deutet darauf hin, dass aus diesen Ländern viele Personen in andere Staaten weiterreisen.
Für den Anstieg von 30.221 Menschen in Grundversorgung (ohne UkrainerInnen) Anfang 2022 auf 37.102 Anfang 2023 waren vor allem syrische Staatsangehörige verantwortlich (+5.984 Personen).
Anmerkung: Grundversorgung erhalten neben AsylwerberInnen auch subsidiär Schutzberechtigte, Asylberechtigte bis 4 Monate nach der Anerkennung, aus rechtlichen/tatsächlichen Gründen nicht abschiebbare Personen und (in obiger Grafik nicht berücksichtigt) Vertriebene aus der Ukraine.
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende
Der Anteil von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) unter allen AsylwerberInnen lag 2022 bei 12 Prozent. Von den insgesamt 13.276 UMF, die in diesem Jahr in Österreich um Asyl angesucht haben, waren 290 unter 14 Jahre alt. Fast alle unbegleiteten Minderjährigen waren männlich (nur 152 weibliche UMF). Der Großteil (71 Prozent) kam aus Afghanistan.
Bei den hohen Asylantragszahlen von UMF ist jedoch zu beachten, dass viele von ihnen scheinbar nicht in Österreich blieben. Laut der BFA-Statistik wurden 2022 11.613 Asylverfahren eingestellt, weil die Minderjährigen nicht mehr auffindbar waren. Die Zahl der UMF in Grundversorgung ist im Laufe des Jahres von 1.486 auf 2.280 (am 1.1.2023) gestiegen, das ist allerdings um vieles weniger als wegen der vielen Asylansuchen zu erwarten gewesen wäre. Obwohl von unbegleiteten Minderjährigen aus Afghanistan 9.371 Asylanträge gestellt wurden, waren zu Jahresbeginn 2023 lediglich 521 in Grundversorgung (Anfang Jänner 2022 waren es 451) (⇒ Grundversorgung UMF).
Im September und Oktober 2022 wurden jeweils mehr als 2.000 Schutzanträge von unbegleiteten Minderjährigen gestellt. Das waren die höchsten Monatswerte der letzten Jahre.
Asylsuchende nach Geschlecht und Alter
Der Anteil von männlichen Schutzsuchenden war 2022 mit 91 Prozent sehr hoch. Das Fehlen von legalen Einreisemöglichkeiten für Geflüchtete und die immer gefährlicher werdenden Flucht- und Migrationswege fördern den hohen Anteil männlicher Asylsuchender.
79 Prozent der AsylwerberInnen waren Erwachsene, 21 Prozent Minderjährige. Von den 89.073 Erwachsenen waren 76.425 unter 35 Jahre alt, 12.648 35 Jahre und älter. Bei den Minderjährigen waren 6.452 unter 7 Jahre, 2.625 von 7 bis 13 Jahre und 14.122 von 14 bis 17 Jahre alt. 13.276 waren unbegleitete, 6.720 begleitete Minderjährige und 3.203 in Österreich geborene Kinder von AsylwerberInnen und Schutzberechtigten.
Entscheidungen in Asylverfahren
2022 erhielten 13.779 Menschen in Österreich Asyl, 5.675 subsidiären Schutz und 2.531 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ("humanitärer Aufenthaltstitel").
Anmerkung: Bei den Zahlen zu den erteilten humanitären Aufenthaltstiteln sind auch Personen enthalten, die keinen Asylantrag gestellt haben. In der Asylstatistik des BMI wird erst seit 2020 zwischen Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die in oder nach einem Asylverfahren, und solchen, die aus anderen Gründen erteilt wurden, unterschieden (1.327 Aufenthaltstitel wurden 2022 an Personen mit einem Asylantrag vergeben, 1.204 an solche ohne Asylansuchen).
Zwei Drittel der positiven Asylbescheide gingen 2022 an syrische Staatsangehörige. Subsidiärer Schutz wurde nicht mehr – wie in den Vorjahren – am häufigsten an Personen aus Afghanistan, sondern an Schutzsuchende aus Syrien vergeben.
Sonstige Entscheidungen in Asylverfahren sind insbesondere Verfahrenseinstellungen, weil der/die Asylsuchende nicht mehr auffindbar und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen kann oder die Person freiwillig ausgereist ist. Die sonstigen Entscheidungen können als ein Indikator dienen, ob viele Personen in andere Staaten weiterreisen. Die Zahl der tatsächlichen Weiterreisen kann aber durchaus um einiges höher sein, da es sowohl bei noch offenen wie auch bei bereits entschiedenen Verfahren möglich ist, dass sich der/die AntragsstellerIn nicht mehr in Österreich aufhält. Bei einer beschleunigten Verfahrensführung (bei AsylwerberInnen aus "sicheren" Herkunftsstaaten oder Staaten mit einer sehr geringen Anerkennungswahrscheinlichkeit) sind Einstellungen von Asylverfahren etwas weniger häufig, weil hier rasch eine Einvernahme zu den Fluchtgründen erfolgt und damit eine Entscheidung getroffen werden kann.
Bis Ende des Jahres wurden insgesamt 42.491 sonstige Entscheidungen getroffen. Im Vorjahr waren es 8.535 gewesen. Die Betrachtung der sonstigen Entscheidungen in erster Instanz beim BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) zeigt einen starken Anstieg im dritten und vor allem vierten Quartal.
Besonders bei afghanischen Staatsangehörigen gab es eine bemerkenswert hohe Zahl an sonstigen Entscheidungen. Aber auch bei indischen, tunesischen, syrischen, türkischen und pakistanischen AsylwerberInnen wurde eine größere Zahl an Asylverfahren eingestellt.
Offene Asylverfahren
Mit Stand vom 31.12.2022 waren 53.107 Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Von März bis Oktober stiegen die offenen Verfahren in erster Instanz stark an, erst ab November war ein Rückgang zu beobachten. Die Zahl der in höheren Instanzen noch nicht entschiedenen Asylverfahren nahm im Laufe des Jahres kontinuierlich ab. Die meisten der am Jahresende offenen Verfahren betrafen syrische Staatsangehörige.
Anmerkung: Bei den offenen Verfahren in 1. Instanz sind auch jene Verfahren inkludiert, die zwar bereits entschieden, aber noch nicht rechtskräftig sind.
Anmerkungen
Die im Text und in den Grafiken verwendeten Daten stammen aus den Monats- und Jahresstatistiken des BMI (abgerufen am 28.3.2023). Für die Asylanträge nach Herkunftsstaat bis 2021 wurden die von der Statistik Austria veröffentlichten Zahlen herangezogen (wobei der einzige Unterschied zu den BMI-Asylstatistiken darin liegt, dass Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit getrennt angeführt werden). In früheren BMI-Statistiken fehlende Daten zu den Anträgen nach Altersgruppe wurden den Asylstatistiken von Eurostat entnommen.
In den Asylstatistiken des BMI sind auch Zahlen zu rechtskräftigen negativen Asylentscheidungen enthalten. Darin sind allerdings auch negative Dublin-Entscheidungen inkludiert, bei denen keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags stattgefunden hat, sondern lediglich festgestellt wurde, dass ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Da außerdem in der BMI-Statistik unklar bleibt, wie die Entscheidungen den Kategorien "Asylentscheidung negativ", "Subsidiärer Schutz negativ" und "Aufenthaltstitel berücksichtigungswürdige Gründe negativ" zugeordnet werden bzw. ob es auch Mehrfachzählungen gibt (in einem Asylverfahren kann es gleichzeitig drei negative Entscheidungen – Asyl, subsidiärer Schutz und berücksichtigungswürdige Gründe – geben), wurde hier auf eine Darstellung verzichtet. Daten zu den negativen Entscheidungen in erster Instanz sind unter ⇒ Asylentscheidungen 2022 zu finden.